Vorbei die Zeiten, in denen sich das Lokale verächtlich mit schnöder Hat-Stattgefunden-Berichterstattung gleichsetzen ließ und mit Artikeln über Blaue Wiener, Blauröcke und Awo-Fahrten ins Blaue. Lokaljournalismus in Deutschland erlebt eine Renaissance. Und das zu Recht.
Mein Credo lautet seit Langem: Theoretisch haben es Lokaljournalisten viel einfacher als ihre überregional oder national arbeitenden Kollegen. Überregional kämpfen Medienhäuser um ein und dieselbe Nachricht, die sie dann notgedrungen in die eine oder andere Richtung drehen müssen, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Features wurden fast wichtiger als die Nachricht.
Im Lokalen ist das etwas anders. Zeitungen waren lange Zeit komplett konkurrenzlos. Es müssen gleichsam himmlisch-ruhige und höllisch-langweilige Zeiten gewesen sein, als es weder Fernsehen noch Internet gab. Doch selbst heute noch sind Zeitungen, je hyperlokaler sie berichten, häufig weitgehend konkurrenzlos. Über neue Baugebiete oder zu sanierende Gehwege erfahren die Menschen nur etwas aus Lokalzeitungen und auf deren Internetseiten. Berichte aus dem Lokalen waren Lesern schon immer wichtig, allein: Sie wurden von einigen Journalisten oft schlecht verkauft. Zu langsam, zu kritiklos, zu irrelevant war die Berichterstattung häufig. Kurzum: Es mangelte an Qualität. Feuerwehrleute schafften es Schulter an Schulter ins Blatt, Wahlgeschenke des Bürgermeisters wurden als Erfüllung eines politischen Versprechens verkauft. Die Folge: Der Ruf des Lokaljournalismus in Deutschland sank. Und mit ihm die Auflage.
Facebook richtet den Blick aufs Lokale
Doch die Provinzpresse erlebt eine Renaissance. Die jüngste Entwicklung, die diese These stützt: die Ankündigung von Facebook, einen neuen Bereich innerhalb der App namens „Today In“ testen zu wollen; ein Feed eigens für lokale Nachrichten, Veranstaltungen und Ankündigungen. Facebook richtet den Blick also (wieder) mehr aufs Lokale. Und auch Marc Zuckerbergs Ankündigung, dass Facebook Beiträge von Unternehmen und Medien in den Newsfeeds der Nutzer abwerten wolle, könnte sich als Chance für relevanten Lokaljournalismus in Deutschland entpuppen: Nicht mehr Linkschleudern mit fragwürdigen Cliffhangern werden dank des Algorithmus belohnt, sondern jene Medien, deren Beiträge für Nutzer und ihre Freunde aus dem engsten Umkreis am relevantesten sind.
Diese Entwicklungen bei Facebook sind nur zwei Punkte in einer langen Reihe, an deren Ende der Bedeutungsgewinn des Lokalen steht. Denn längst nicht nur der amerikanische Internetgigant erkennt den Wert eines regional begrenzten (Werbe-)Marktes für sich. Auch überregionale Qualitätsmedien in Deutschland entdecken das Lokale plötzlich wieder.
Medien entdecken das Lokale für sich
Da ist zum Beispiel „Zeit Online“. In ihrer Nähe zum Leser, zu den Menschen vor Ort und damit ihrer täglichen Arbeit seien Lokaljournalisten für Chefredakteur Jochen Wegner schon dort, „wo wir gerne hin wollen“. Wegner zog dieses Fazit aus dem „#D17“-Projekt von „Zeit Online“. Damals waren Redakteure des überregionalen Leitmediums in ihre Heimatorte gefahren, um mit vielen Geschichten zurückzukehren: über ein Freibad, einen Sternekoch, die letzte Bank im Ort. Das Erstaunliche für Wegner und seine Kollegen:
Bei der Veröffentlichung waren es die meist gelesenen Geschichten auf Zeit Online, unabhängig davon, wo sie spielten.
Mit anderen Worten: Der Riese „Zeit Online“, laut Agof mit 11,65 Millionen Unique Usern im Dezember 2017, entdeckte den klassischen Lokaljournalismus in Deutschland für sich.
Und es gibt weitere Beispiele für das Wiedererstarken des Lokalen: Ralf Heimann ließ sich schon 2013 in seinem Buch vom Lokalen bezaubern, das Interaktiv-Team der „Berliner Morgenpost“ gewann einen Preis nach dem anderen, „Focus Online“ launchte – auf Reichweite denn auf Qualität ausgerichtete – Regionalseiten, betreut von einer „23-köpfigen Lokalredaktion“, außerdem entdeckten 16 Reporter die 16 Bundesländer, das „Zeit-Magazin“ expandierte: Nachdem es in Hamburg eine eigene Lokalausgabe gab, folgte eine eigene Ausgabe für München. Selbst halbbegabte Journalisten versuchen ihr Glück im Lokalen.
Facebook hatte lange Zeit einen entscheidenden Vorteil: An dem Netzwerk kam kein Produzent von Nachrichten vorbei. Wer seine News verbreiten wollte, musste auf den Konzern setzen, um beachtet zu werden. Denn dort war das Publikum, das es zu erreichen galt. Das ist noch heute so, auch wenn die Bedeutung von Facebook sinkt.
Zeit der neuen deutschen Lokalriesen?
Rettet Facebook mit „Today in“ also das Lokale? Natürlich nicht. Können sich Redakteure im Regionalen ausruhen auf dem Trend, dass Nachrichten aus nächster Nähe in einer globalisierten Welt wichtiger werden? Nein. Um als Lokalberichterstatter überleben zu können, braucht es mehr, als sich allein auf die steigende Relevanz von Lokalnachrichten zu verlassen. Es braucht vor allem Qualität. Online und offline.
Immerhin: Im Gegensatz zu den Kollegen, die sich bei Koalitionsverhandlungen in Parteizentralen die Nacht um die Ohren schlagen müssen, um dann doch nur dieselben Zitate einfangen und gleichklingende Nachrichten verbreiten zu können, haben ihre Kollegen im Dorf einen entscheidenden Vorteil, der lange Zeit als Nachteil empfunden wurde: Dorf-Journalisten sind nah dran, zu nah, um anderen die Chance zu ermöglichen, ohne Weiteres Fuß fassen zu können. Mit einer sauber aufgeschriebenen Nachricht erfüllen Lokaljournalisten schon den großen Wunsch ihrer Leser nach Informationen. Und wenn Facebook seinen Nutzern relevante Lokalnachrichten etwa aus Kiel bieten möchte, kommt das Unternehmen an den Kieler Nachrichten kaum vorbei. Für Städte wie Oldenburg oder Emden gilt das wohl gleichermaßen.
Bricht also die Zeit der neuen deutschen Lokalriesen an? Mal schauen. Es soll tatsächlich Redakteure geben, die darauf setzen.